Weil es zu wenig Spenderblut gibt, forschen Wissenschaftler an einem Ersatz. Dazu greifen Sie sogar auf Kühe und Krebse zurück.
Blutkonserven retten Leben. Daran gibt es keinen Zweifel. Doch wirklich gesund sind Blutspenden deswegen trotzdem nicht. Denn sie können zu vielen Komplikationen führen. Im schlimmsten Fall stirbt ein Patient sogar genau an dem Stoff, der ihm eigentlich das Leben hätte retten sollen. Denn eine Bluttransfusion ist wie eine Art Organtransplantation. Die Schwemme von körperfremden Eiweiss absorbiert das Immunsystem. In der Folge haben Bakterien ein leichtes Spiel, in den Körper einzudringen und Infektionen auszulösen. Dazu kommen Organschäden an Lungen, Nieren, Herz und Gefässen.
Aus diesen Gründen sind Forscher auf der Suche nach einem Ersatz für das Spenderblut. Ihr Traum ist eine Substanz, die lange haltbar ist, schnell in grossen Mengen produziert werden kann, für alle Menschen gleichermassen einsetzbar ist und keine Nebenwirkungen hat.
In den 1990er Jahren schien die Lösung greifbar nah zu sein. Damals haben Wissenschafter an der Verwendung des so genannten Perfluorocarbons als Blutersatz geforscht. Perfluorocarbon besteht aus Kohlenstoffketten, die vollständig mit Fluor-Atomen umhüllt sind. Diese Moleküle haben die Fähigkeit, genau wie das Hämoglobin des menschlichen Körpers, Sauerstoff an sich zu binden und wieder abzugeben.
Aufbereitet als Infusion wurde das Produkt erfolgreich bei Patienten getestet. Es hatte den Vorteil, dass es sich in grossen Mengen herstellen liess und beliebig lange haltbar war. Für den Einsatz in Katastrophen- und Krisengebieten ist das ideal. Doch bei den Zulassungstests haben die Probanden Nebenwirkungen beim Herz und im Magen-Darm-Trakt gezeigt. Daraufhin wurde das Zulassungsverfahren gestoppt.
Kühe können Blutersatz für Menschen liefern, doch das Risiko von Nebenwirkungen ist hoch.
Statt den Sauerstoffträger künstlich herzustellen, wird bereits seit Jahrzehnten versucht, auf das Hämoglobin von Tieren zurückzugreifen. Als Spenderin fiel hier die erste Wahl auf die Kuh. Sie ist gross und produziert sehr viel Blut. In diesem liegt das Hämoglobin verpackt in einem roten Blutkörperchen vor. An es heranzukommen war nicht allzu schwierig. Es jedoch gefahrlos wieder in den Körper eines Patienten hineinzukriegen hingegen schon.
Das Problem ist, dass unverpacktes Hämoglobin giftig für den Körper ist. Es ist so klein, dass es in den Raum zwischen den Zellen der Blutgefässwand eindringt. Dort bindet es an das Gas Stickstoffmonoxid und beginnt dieses abzuführen. Das Gas verhindert die spontane Gerinnung von Blut. Fehlt es, können sich Blutgerinnsel bilden, die zu einem Infarkt führen. Dazu kommt, dass Hämoglobin schnell zerfällt, wenn es frei im Blutstrom herumschwimmt. Die Bruchstücke können die Gefässe der Nieren verstopfen und in der Folge zu Nierenversagen führen.
Um diese Probleme zu umgehen, hängten die Forscher immer ein paar Hämoglobinmoleküle aneinander. Auf diese Weise konnten sie nicht mehr in die Zellzwischenräume rutschen und das gesamte Gebilde war auch ziemlich stabil.
Das Blut von Wattwürmern kann 50 mal mehr Sauerstoff aufnehmen als das des Menschen.
Aus diesem Konzept entstand unter anderem der Blutersatzstoff «Hemopure». Sein Vorteil: Er kann jahrelang gelagert werden und eignet sich für jede Blutgruppe. In Südafrika wurde es trotz Nebenwirkungen an Darm und Herz zugelassen. In Europa und den USA befindet es sich zurzeit im Zulassungsverfahren.
Seit kurzem droht ein anderes Tier der Kuh ihr Monopol als Hämoglobin-Lieferantin streitig zu machen. Ende 2016 hat die Idee des französischen Meeresbiologen Franck Zal Schlagzeilen gemacht, Hämoglobin aus Wattwürmern zu gewinnen.
Wattwürmer können bei Ebbe stundenlang fast keinen Sauerstoff mit ihren Kiemen aufnehmen. Diese Extremsituation überleben sie trotzdem, weil sie das wohl effizienteste Hämoglobin-Molekül der Welt besitzen. Verglichen mit der menschlichen Variante ist es riesig und kann 50 Mal mehr Sauerstoff aufnehmen.
Inzwischen hat Zal ein Biotech Start Up Hemarina gegründet, um die Erforschung und Massenproduktion des Moleküls voranzutreiben. Nach eigenen Angaben gibt es keine Nebenwirkungen oder Abstossungsreaktionen. Wegen seiner Grösse kommt es auch nicht in die Zellzwischenräume. Mehrere auf ihm basierende Blutersatzstoffe werden inzwischen an sechs Universitätsspitälern in Frankreich getestet.
Die Wochenproduktion liegt derzeit bei 1,2 Kilo. Hugues Le Choismier, Vorstandsvorsitzender von Hemarina, sagt: «Wir können das hochskalieren. Doch wie wir das machen, ist unser Geheimnis. Unser Ziel ist es, die ganze Welt damit zu beliefern.»
Ebenso gibt es Bestrebungen, Blut mit Hilfe von menschlichen Stammzellen zu gewinnen. Diese Methode könnte bei Menschen mit sehr seltenen Blutgruppen zum Einsatz kommen, sagt Torsten Tonn, Transfusions-Experte an der Technischen Universität Dresden. Doch die technischen Hürden sind zurzeit noch sehr gross. «Der Prozess, der im Knochenmark zu einer Bildung von roten Blutkörperchen führt, ist sehr komplex. Dies lässt sich im Reagenzglas nicht so einfach abbilden.»
Die Mengen, die sich heute herstellen lassen, liegen im Bereich von Millilitern. «Es dauert vermutlich noch fünf bis zehn Jahre, bis man ausreichend rote Blutkörperchen im Labor züchten kann, um in einzelnen Patienten eine Transfusion zu ermöglichen», sagt Tonn.
Erschienen in der NZZ am Sonntag