Dreck essen ist nicht gesund

Über Bakterien und Pilze kursieren zahlreiche Irrtümer. Was die kleinen Freunde auf und in unserem Körper tatsächlich bewirken und was nicht.

So würde unsere Haut aussehen, wenn die Bakterien und Pilze auf ihr auf das Tausendfache anschwellen würden. Bild: Adobe Stock.
So würde unsere Haut aussehen, wenn die Bakterien und Pilze auf ihr auf das Tausendfache anschwellen würden. Bild: Adobe Stock.

Tausende von Bakterien-, Viren- und Pilzarten leben auf und in unserem Körper. Dieses so genannte Mikrobiom hilft und beeinflusst uns in vielfältiger Art und Weise: es verdaut unsere Nahrung, es trainiert unser Immunsystem und es schützt uns vor Krankheiten. In den letzten Jahrzehnten haben sich aber auch Irrtümer über unsere kleinen Freunde festgesetzt. Sie halten sich hartnäckig und selbst Forschende verbreiten sie munter weiter. 

 

Dem will der Mikrobiologe Alan Walker von der Universität von Aberdeen in Grossbritannien nun einen Riegel schieben. In einer neuen Studie, die im Fachmagazin Nature Microbiology erschienen ist, machen er und seine Ko-Autorin reinen Tisch. «Manchmal plappert jeder dem anderen einfach nach. Ein Stück weit ist das auch verständlich. Vor zwanzig Jahren kam eine neue Studie pro Monat zum Mikrobiom heraus. Heute sind es eintausend Studien pro Monat. Niemand kann so viel lesen und verdauen», sagt Walker. 

Irrtum 1: Mikroben sind entweder gut oder böse.

Die meisten Mikroben haben mit uns nichts am Hut – weder im Guten noch im Bösen. Bild: Adobe Stock.
Die meisten Mikroben haben mit uns nichts am Hut – weder im Guten noch im Bösen. Bild: Adobe Stock.

Tatsächlich sind es verhältnismässig wenige Arten, die für uns Menschen einen direkten Nutzen haben oder die uns Schaden zufügen. Auf der Erde gibt es schätzungsweise mehrere Millionen von Mikrobenarten. «Der allergrösste Teil von diesen nimmt von uns keine Notiz. Wir sind denen komplett egal», sagt Walker. 

Zu den Nützlingen zählen etwa ein paar Hundert bis ein paar Tausend Spezies, aus denen unsere Darmflora besteht. «Sie können Ballaststoffe und viele weitere für uns unverdauliche Nahrung aufbrechen und uns so mit einer ganzen Reihe von Nährstoffen und Vitaminen versorgen.» Die Liste der Krankheitsverursachern ist vermutlich noch kürzer als die der Nützlinge und reicht vom Aspergillus Schimmelpilz bis zum Zikavirus.

 

Die Nützlichkeit oder Schädlichkeit hängt allerdings stark vom Kontext oder besser gesagt vom Ort ab, an dem sich Bakterien gerade aufhalten. «Gelangen die sonst so dienlichen Darmbakterien in die Harnröhre, können sie eine schwere Entzündung verursachen.»

Irrtum 2: Wir tragen zwei Kilogramm Bakterien mit uns herum.

Der grösste Teil unseres Darminhalts besteht aus Wasser. Zieht man das ab, bleiben ein paar wenige Hundert Gramm Mikroben übrig. Bild Adobe Stock.
Der grösste Teil unseres Darminhalts besteht aus Wasser. Zieht man das ab, bleiben ein paar wenige Hundert Gramm Mikroben übrig. Bild Adobe Stock.

Dies ist einer der am meisten zitierten Unwahrheiten. Der grösste Teil unserer Mikroben lebt im Darm. «Das Gewicht eines typischen Darminhalts beträgt jedoch lediglich zwischen achtzig und vierhundert Gramm», sagt Walker. Das meiste davon ist erst noch Wasser. Zieht man dieses ab, besteht unser Stuhl etwa zur einen Hälfte aus unverdauten Ballaststoffen und toten Darmzellen und zur anderen Hälfte aus Mikroben.

 

Nur minim zum Gesamtgewicht tragen die Mikroben aus der Mundhöhle, den Geschlechtsorganen, der Nase, den Ohren, den Zehenzwischenräumen und der übrigen Haut bei. Sie wiegen zusammen vielleicht ein paar Gramm. Damit beläuft sich das Gesamtgewicht des menschlichen Mikrobioms bestenfalls auf ein paar Hundert Gramm. 

Irrtum 3: Wir besitzen zehn Mal mehr Mikroben als Körperzellen

Der menschliche Körper besteht aus rund 40 Billionen Zellen. Würden wir die zehnfache Menge an Bakterien mit uns herumtragen, wären wir wohl tatsächlich ein wandelnder Bakterienhaufen. «Diese riesige Zahl geht auf eine Schätzung aus den 1970er Jahren zurück», sagt Walker. Und sie ist masslos übertrieben. In den letzten Jahren haben Forschende die Schätzung nach unten korrigiert. Das Verhältnis liegt nun nach neustem Wissen bei eins zu eins. 

Irrtum 4: Ein Probiotikum heilt viele verschiedene Krankheiten

Man darf Probiotika schon trinken. Ob es aber viel bringt, ist fraglich. Bild: Adobe Stock.
Man darf Probiotika schon trinken. Ob es aber viel bringt, ist fraglich. Bild: Adobe Stock.

Die so genannten Probiotika sind buchstäblich in aller Munde. Das sind Lebensmittel wie das bekannte Bifidus-Joghurt aber auch Tabletten, die verschiedene Bakterienkulturen enthalten und die Gesundheit fördern oder gar Krankheiten wie Durchfall heilen. In manchen Fällen funktioniert das sogar. So lässt sich etwa eine verletzte Darmschleimhaut bei Neugeborenen mit Bifidobakterien erfolgreich behandeln. 

Doch der Markt für Probiotika ist in den letzten Jahren ins Kraut geschossen. «Es gibt Hunderte von Produkten. Bei vielen mangelt es allerdings an guten klinischen Wirksamkeitsnachweisen und es muss noch mehr Forschung betrieben werden. Zudem ist es unrealistisch zu erwarten, dass eine Art Probiotikum viele verschiedene Krankheiten heilen kann.»

 

Nur schon zwischen verschiedenen Stämmen innerhalb einer Art kann der Effekt auf die Gesundheit sehr unterschiedlich sein. «Für den Konsumenten heisst es im Moment noch abwarten, was die Forschung zu Tage führt.»

Irrtum 5: Eine veränderte Darmflora führt zu Fettleibigkeit

Schon im Alten Rom gab es Probleme mit Fettleibigkeit. Vermutlich war der Grund aber auch damals nicht das Mikrobiom, sondern ganz einfach die Menge an zugeführter Nahrung. Bild: Adobe Stock (mit Hilfe von KI generiert).
Schon im Alten Rom gab es Probleme mit Fettleibigkeit. Vermutlich war der Grund aber auch damals nicht das Mikrobiom, sondern ganz einfach die Menge an zugeführter Nahrung. Bild: Adobe Stock (mit Hilfe von KI generiert).

Darmbakterien müssen inzwischen für viele Gebrechen und Leiden herhalten. Dazu gehört auch das Übergewicht. Demnach kann eine krankhaft veränderte Zusammensetzung der Darmflora – eine so genannte Dysbiose – dazu führen, dass wir an Gewicht zulegen, obwohl wir uns normal ernähren. Wissenschaftlich belegt ist das aber nicht. «Die gegenwärtigen Daten stammen meist aus Studien an Mäusen und lassen sich nicht auf den Menschen übertragen», sagt Walker. 

Irrtum 6: Bei der Geburt überträgt die Mutter ihr Mikrobiom auf das Neugeborene

Während der Geburt nimmt das Baby Mikroben aus dem Vaginalkanal auf. Bild: Adobe Stock.
Während der Geburt nimmt das Baby Mikroben aus dem Vaginalkanal auf. Bild: Adobe Stock.

Es ist ein faszinierender und zugleich ekelerregender Prozess: Während des Geburtsvorgangs wird das Baby mit Mund und Nase dicht an die Schleimhaut des Gebärmutterhalses und des Scheidenkanals gepresst und dadurch mit den dort angesiedelten Bakterien beimpft. Auf diese Weise «vererbt» die Mutter dem Kind ihr Mikrobiom und damit steht der gesunden Entwicklung des Nachwuchses nichts mehr im Weg. Diese fast schon romantische Vorstellung führt an manchen Spitälern zur Praxis des «Vaginal Seeding». Dabei wird Babys, die mit einem vergleichsweise sterilen Kaiserschnitt zur Welt kommen, mütterliches Vaginalsekret in den Mund geträufelt, um die Übertragung der Mikroben zu gewährleisten.

 


Das Innere der Vagina ist ein weit weniger artenreicher Lebensraum, als viele annehmen. 


Tatsache ist, dass das Innere der Vagina ein weit weniger artenreicher Lebensraum ist, als viele annehmen. Und nur ein Bruchteil dieser Bakterienarten wird bei der Geburt auf das Kind übertragen. «Ohnehin bleiben die wenigsten davon für den Rest des Lebens im Körper des Kindes», sagt Walker. Denn mit dem Stillen gelangt eine wahre Schwemme an Bakterien in den Darm. «Wenn später feste Nahrung dazukommt, steigt deren Zahl nochmals explosionsartig an.» Irgendwann in den Teenager-Jahren hat man meist die maximale Artenzahl erreicht. Doch deren genaue Zusammensetzung verändert sich bis zum Erwachsenwerden mehrmals. Sie hängt unter anderem von den bevorzugten Nahrungsmitteln ab, aber auch von der Einnahme von Medikamenten wie Antibiotika. Als Erwachsene haben wir uns schliesslich einen individuellen Mix an Bakterien zugelegt. Dieser ist von Mutter zu Kind sehr verschieden. 

Irrtum 7: Dreck essen ist für Kinder gesund

Mit Dreck spielen ist super. Dreck essen hingegen nicht. Bild: Adobe Stock.
Mit Dreck spielen ist super. Dreck essen hingegen nicht. Bild: Adobe Stock.

So pauschal lässt sich das nicht sagen. Walker rät hier in Mangel an gesicherten Daten zu einer nuancierteren Betrachtungsweise: «Wir wissen, dass eine sterile Umgebung nicht gesund ist für Kinder. Ihr Immunsystem muss Mikroben ausgesetzt werden, damit es trainieren kann.»

 

Das heisst aber nicht, dass Kinder die Gartenerde gleich löffelweise in sich hineinstopfen sollen. «Der Boden ist sehr artenreich und in ihm leben auch Krankheitskeime.» Eine abschliessende Antwort zur genauen Menge an Dreck, die gut für ein Kind ist, gebe es noch nicht.

Erschienen in der NZZ am Sonntag. 


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