Die Invasion der Grundeln

Schwarzmeergrundeln breiten sich als invasive Art ungehindert im Rhein aus. Forscher und Behörden versuchen, das Tier aufzuhalten.

Ein Schweizer Fisch haut ab, sobald er einen Menschen sieht, denn Menschen bedeuten Gefahr. Doch wer dieser Tage zwischen Basel und Rheinfelden den Kopf in den Rhein steckt, wird mit Verwunderung feststellen, dass es von Fischen wimmelt, die trotzig an Ort und Stelle auf dem Boden hocken bleiben und nicht daran denken, das Weite zu suchen. Ganz im Gegenteil sind sie so unempfindlich Menschen gegenüber, dass sie sogar Selfies mit sich machen lassen.


Es sind Schwarzmeergrundeln, die sich seit einiger Zeit als invasive Fischarten ungehindert in unseren Gewässern ausbreiten. Mit ihrem sehr territorialem Verhalten drängen sie heimische Fischarten wie Groppe, Forelle oder Äsche aus ihrem Lebensraum und beanspruchen ihn für sich.

Grundeln legen ihre Eier meist in Hohlräumen unter Steinen ab. Ein Männchen setzt sich davor und bewacht die Höhle sowohl gegen Nebenbuhler als auch gegen andere Fischarten, die dort gerne brüten würden. Die Fischeier anderer Arten dienen den Grundeln dabei als willkommener Snack. «Grundeln können als Laichräuber bis zu drei Viertel ihres Körpergewichts an Fischeiern fressen», sagt Matthias Nabholz, Leiter des Amts für Umwelt und Energie des Kantons Basel-Stadt. «Für einheimische Fische sind die Schwarzmeergrundeln demnach eine existenzielle Gefahr», sagt er. In den betroffenen Gebieten des Rheins ist der Boden flächendeckend mit bis zu zwanzig Grundeln pro Quadratmeter besetzt.

Ihren Erfolg verdanken die Grundeln jedoch nicht sich selbst, sondern dem Menschen. Die Tiere sind von Natur aus sesshaft und zudem schlechte Schwimmer. In den 1980er Jahren lebten sie noch ausschliesslich in ihrer Heimat, den Flussmündungen rund um das Schwarze Meer, sagt Patricia Holm, Ökologin an der Universität Basel. Sie leitet eine Forschergruppe, die sich mit der Ausbreitung und Eindämmung der Grundeln befasst.

«Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs verstärkte sich der Schiffsverkehr zwischen Ost- und Westeuropa», sagt Holm. Das verhalf den Grundel unbeabsichtigt zu einem Reiseticket um die ganze Welt. «Wenn ihre winzigen Larven aus den Eiern schlüpfen, treiben sie als Plankton frei im Wasser herum. Wenn ein Passagierschiff Ballastwasser aufnimmt, gelangen die Larven an Board. Beim nächsten Hafen Hunderte von Kilometern weiter, wird das Ballastwasser wieder abgelassen und die Larven haben einen neuen Ort besiedelt», sagt Holm. Diese sprunghafte Ausbreitung von Hafen zu Hafen ist ein neues Phänomen in der Ökologie. Holm nennt es «Harbour Hopping».

Nach diesem Prinzip haben sich die Grundeln von der Donaumündung über weite Teile der Flüsse und Kanäle von Ost- und Zentraleuropa ausgebreitet. Dank ihrer Toleranz gegenüber Salzwasser sind sie inzwischen auch in der Nord- und Ostsee zu Hause. Sie haben sogar den Sprung über den Atlantischen Ozean geschafft und die Grossen Seen Nordamerikas besiedelt.

2012 haben die Tiere die Schweizer Grenze bei Basel erreicht. Seither breiten sie sich via Rhein in den Schweizer Gewässern aus. Zurzeit kommen sie mit fünf Kilometern pro Jahr recht langsam voran. Das liegt daran, dass die Schifffahrt auf dem Schweizer Rhein wegen den vielen Kraftwerken nicht so intensiv ist wie etwa in Deutschland.

Die Staumauern der Kraftwerke sind dabei kein grundsätzliches Hindernis für die Grundeln. Via Fischlifte oder Fischtreppen, die für heimische Fischarten gebaut werden, umgehen sie jedes Wehr. Im Moment nehmen sie sich gerade das Aufstiegsgewässer beim Kraftwerk Rheinfelden vor. «Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie das überwunden haben», sagt Holm.

Doch es gibt auch noch schnellere Verbreitungswege. Manchmal verwenden Fischer die Grundeln als Lebendköder. Ab und zu reisst sich ein Tier vom Haken los und sorgt so unter Umständen für die Besiedlung eines neuen Gewässers. Ebenso können Aquarienbesitzer zur Verbreitung beitragen, wenn sie den Inhalt ihrer Aquarien samt Fischbesatz im nächsten See oder Fluss entsorgen.

Ein noch gravierenderes Problem sind die Tausenden von privaten Bootsbesitzern der Schweiz, welche die Grundeln ebenfalls verbreiten könnten. Denn die Tiere können ihre klebrigen Eier auch an die Unterseite von Motor- und Segelbooten ablegen oder in deren Ankerkasten. Die Eier überleben längere Zeit ausserhalb des Wassers. Wenn also das Boot von einem Gewässer zum nächsten transportiert wird, können die Grundeln im Nu jeden See und jeden Fluss fernab des Rheins erreichen.

Vor dieser Vorstellung graust es sowohl den Forschern als auch den Behörden. Darum haben sie eine Grundelstrategie erarbeitet, eine Art Schlachtplan. Dieser sieht unter anderem vor, die Bootsbesitzer mittels Informationskampagnen über die drohende Gefahr am Rumpf ihrer Jacht aufzuklären.


Zudem soll eine Bootsreinigungsanlage entwickelt und in Basel in den Testbetrieb genommen werden. Durch sie sollen beim Ein- und Auswassern allfällig vorhandene Grundeleier entfernt werden.

Zu den Leidtragenden der Grundelinvasion zählt nicht nur die Natur, sondern auch die Fischerei. In Basel ist es schwierig geworden, Fischarten zu fangen, die unter dem Konkurrenzdruck der Grundeln leiden. Doch es gibt auch gute Neuigkeiten, sagt Roger Senger, Chef der Fischerei in Basel. «Da Grundeln nicht gut schwimmen können, sind sie für Raubfische eine leichte Beute. Darum stellen wir einen Anstieg des Raubfischbestandes fest. Zander beispielsweise fängt man im Rhein wieder richtig gut.»

Die Grundeln selbst lassen sich ebenfalls essen. Inzwischen haben sich findige Fischer darauf eingestellt und verarbeiten sie zu Fischknusperli oder Suppenfisch weiter. Da sie so zahlreich sind, beissen sie sehr schnell an. Auf diese Weise lassen sich mit einer Rute pro Stunde 30 Stück aus dem Wasser ziehen. «Ein Fischer hat in meinem Bezirk hat letztes Jahr 8000 Stück gefangen. Ich glaube, er verkauft die an ein Restaurant, das Grundel-Burger aus ihnen macht», sagt Senger.

Anderswo läuft die Befischung der Grundeln schon längst im grossen Stil. Lettland holt mit Schleppnetzen und Reusen jedes Jahr über hundert Tonnen von ihnen aus der Ostsee und vermarket sie erfolgreich als Speisefisch. In der Schweiz zögern die Behörden jedoch, die Grundel als neuen Speisefisch anzupreisen.


Andreas Knutti, Leiter der Sektion Lebensraum Gewässer am Bundesamt für Umwelt, erklärt: «Werbung ist in diesem Fall zweischneidig. Wenn das einschlägt, kommt vielleicht der eine oder andere auf die Idee, die Grundeln in einem anderen Gewässer auszusetzen. Dann leisten wir der Verbreitung noch Vorschub, was verheerend wäre.»

Jost Borcherding, Ökologe und Grundelexperte an der Universität Köln, sieht das anders. Er findet, dass der Verzehr langfristig zur Eindämmung beitragen muss. «Es bedarf Strategien, die Grundeln ökonomisch zu nutzen. Das kann durch Aufessen sein oder indem sie beispielsweise zu Katzenfutter verarbeitet werden. Immer wenn es ein ökonomisches Interesse gibt, dann verschwinden solche Probleme wie die Grundeln ganz schnell.»


Holm steht dem ökonomischen Ansatz allerdings mit Skepsis gegenüber. «Man fischt nur so lange, bis der Aufwand grösser ist als der Ertrag. Dann lohnt es sich nicht mehr. Leider kommt dieser Zeitpunkt bevor die letzte Grundel gefischt ist. Vielleicht könnte es klappen, wenn ein Naturschützer dort weitermacht, wo die kommerzielle Fischerei aufhört.» So oder so sei es ganz schwer, die Grundel wieder loszuwerden, sagt Holm. «Darum lautet unser Kredo: Leute, schaut, dass sich die Tiere nicht weiter ausbreiten.»



Grundeln im fünfer Pack

Hinter dem Begriff «Schwarzmeergrundeln» verstecken sich fünf verschiedene Grundelarten aus dem Gebiet des Schwarzen Meers. Sie alle breiten sich in den Gewässern Europas aus. Zudem haben die meisten von ihnen den Sprung über den Atlantik geschafft und besiedelt unter anderem die Grossen Seen Nordamerikas.

Kesslergrundel, Ponticola kessleri
Sie bildet bei der Besiedlung neuer Gebiete meist die Vorhut. Meist wird sie einige Zeit nach der Ankunft der Schwarzmundgrundel wieder seltener. Sie kam 2012 via Rhein in die Schweiz.

Schwarzmundgrundel, Neogobius melanostomus
Sie ist die erfolgreichste Schwarzmeergrundel. Auch sie kam 2012 in die Schweiz. Sie ist zurzeit die weitaus häufigste Grundelart im Rhein.

Marmorierten Grundel, Proterorhinus semilunaris
Sie ist noch nicht in der Schweiz. Ihre Ankunft wird jedoch erwartet.

Nackthalsgrundel, Babka gymnotrachelus
Sie ist noch nicht in der Schweiz. Ihre Ankunft wird jedoch erwartet.

Flussgrundel, Neogobius fluviatilis
Sie ist noch nicht in der Schweiz. Ihre Ankunft wird jedoch erwartet.


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