Den Mooren geht es schlecht

Die Hoch- und Flachmoore der Schweiz stehen seit 30 Jahren unter Schutz. Trotzdem trocknen sie aus, werden überdüngt und von Sträuchern und Bäumen überwuchert. Der Grund: es fehlt Geld für ihren Unterhalt.

Vor fast genau dreissig Jahren ereignete sich eine Sternstunde im Schweizer Umweltschutz. Am 6. Dezember 1987 nahm die Bevölkerung die so genannte «Rothenthurm-Initiative» an. Mit ihr verankerte das Volk entgegen dem Willen des Bundesrates den Schutz unserer Hoch- und Flachmoore in der Bundesverfassung (siehe Box). «Wenn wir das nicht gemacht hätten, dann wäre ein grosser Teil von ihnen verschwunden», sagt Werner Müller, Geschäftsführer des Naturschutzverbandes BirdLife Schweiz. Doch hier endet auch schon die Lobrede auf den grünsten aller Verfassungsartikel. Denn seither hat sich der Zustand der meisten Moore verschlechtert. Und ein Ende der Talfahrt ist nicht in Sicht.

 

Eigentlich ist die Schweiz das perfekte Land für die Bildung von Mooren. Als erstes braucht es einen zuverlässigen Nachschub an Wasser. Dank den Alpen, an denen sich immer wieder die Wolken stauen und dadurch abregen, ist dieser gesichert. Die zweite Zutat ist ein wasserundurchlässiger Boden. Hier haben die Gletscher aus der Eiszeit ganze Arbeit geleistet. Denn zwei Meter unter der Erde folgt eine Geröllschicht, die von den Tonnagen an Eis zu einer Art Naturbeton zusammengebacken wurde. Dieser verhindert oder verlangsamt zumindest die Versickerung des Regenwassers. Wenn es nicht nach unten kann, bleibt es eben oben und das Moor ist geboren.   

 

Noch vor 200 Jahren war die Schweiz der reinste Sumpf. Doch seither hat der Mensch Flussläufe korrigiert, Drainagen verlegt und Entwässerungsgräben gezogen. In der Folge wurden 90 Prozent der einstigen Moore trockengelegt und meist zu Ackerland umgewandelt.

 

Der verbleibende Rest von 1 524 Hektaren Hochmooren und 19 152 Hektaren Flachmooren sollten vom Bund und den Kantonen seit der Annahme der Rothenthurm-Initiative in ihren ursprünglichen Zustand bewahrt oder in ihn zurückgeführt werden. Das bedeutet jedoch viel Arbeit und damit viel Geld.


«Ein Viertel der Moore sind trockener geworden.»


Im April 2017 erstellte ein Umweltbüro im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) einen Bericht, der die benötigten Kosten für den Unterhalt darlegen sollte. Demnach bräuchte es für wiederkehrende Unterhaltsarbeiten wie Mähen oder das Zurückschneiden von Bäumen 45 Millionen Franken pro Jahr. Von diesen Kosten sind gemäss Bericht jedoch nur 86 Prozent gedeckt. Noch schlechter steht es bei den einmaligen Aufwertungsmassnahmen wie etwa die Schliessung der Entwässerungsgräben. Von den dafür benötigten 615 Millionen Franken sind bis 2040 gerade mal 36 Prozent gedeckt.

 

Im Bericht heisst es denn auch: «Aus fachlicher Sicht kommt das Autorenteam in seinem Bericht zum Schluss, dass die heutigen Aufwendungen für die Biotopinventare nicht ausreichen, um eine gesetzeskonforme Umsetzung des Biotopschutzes sicherzustellen.»

 

Diese Unterfinanzierung schädigt die Moore. Der Biologe Ariel Bergamini von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL hat an einem Projekt mitgearbeitet, bei dem die Entwicklung der Moore zwischen 1996 und 2007 verfolgt wurde. «Dort hat man festgestellt, dass ein Viertel der Moore trockener geworden sind. Nur drei Prozent sind feuchter geworden. Das ist schlecht. Denn entweder sollten sie feucht bleiben oder feuchter werden», sagt Bergamini.

 

Die zunehmende Austrocknung führt zum Verlust der in Mooren einzigartigen Pflanzen- und Tierwelt. Es gibt da etwa fleischfressende Pflanzen wie Sonnentau oder Fettblatt, diverse Orchideenarten, Wollgras, Mehlprimel oder Moorenzian. Die Pfützen zwischen den Pflanzen werden von Libellen, Fröschen, Molchen und Salamandern als Brutstätten verwendet. Im Wasser tummeln sich ferner viele Arten von Kleinkrebsen, die sich an die sauren Bedingungen angepasst haben.

Die wichtigste Arbeit ist die Schliessung der Entwässerungsgräben oder der Drainage-Rohren unter dem Boden. Vor allem bei den Hochmooren in den tieferen Lagen drängt die Zeit. Denn Hochmoore werden nur vom Regenwasser gespeist (siehe Grafik). «Mit dem Klimawandel nehmen die Niederschläge jedoch vor allem in den Sommermonaten ab. Zugleich wird es wärmer. Damit verdunstet mehr Wasser. Beide Prozesse zusammen beschleunigen die Austrocknung», sagt Bergamini.

 

Das zweite grosse Problem ist die so genannte Verbuschung, also die Überwucherung mit Sträuchern und Bäumen. Das droht vor allem den Flachmooren. Sie wurden bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts von den Bauern regelmässig geschnitten, um Streu für die Tiere zu gewinnen. «Durch das regelmässige Mähen hatten aufstrebende Baumschösslinge keine Chance», sagt Müller.

 

Doch heute lohnt sich die Bewirtschaftung für die Bauern nicht mehr. Das heisst, entweder müssen sie für diese Arbeit durch Direktzahlungen entschädigt werden oder die Gemeinde übernimmt den Unterhalt. So oder so kostet es Geld, das momentan nicht ausreichend zur Verfügung steht. «Wenn man die Flächen zuwachsen lassen würde, dann hätte man einfach feuchte Wälder mit entsprechend niedriger Artenvielfalt», sagt Müller.


«Die Erhaltung der Landschaft und der Biotopschutz erhalten weniger Unterstützung als Themen wie Energieversorgung oder Landwirtschaft.»


Das dritte Problem ist die Düngung. «Moore sind nährstoffarme Lebensräume. Doch heute sind sie in intensiv bewirtschaftetes Gras- und Ackerland eingebettet, in dem Kunstdünger und Jauche eingesetzt wird. Das kann mit dem Regen ins Moor fliessen», sagt Bergamini.

 

Um das zu verhindern, sollten die Kantone Pufferzonen um jedes Moor festlegen. Das sind 10 bis 30 Meter breite Streifen auf dem Landwirtschaftsland, in dem weder Kunstdünger noch Jauche eingesetzt werden dürfen. Hier sind die Arbeiten am weitesten fortgeschritten. Schweizweit fehlten nur noch rund zehn Prozent der Pufferzonen.

 

Anders sieht es bei der Schliessung der Entwässerungsgräben in Hochmooren aus. Im Kanton Zürich wurde dieses Problem erst bei der Hälfte der Hochmoore angegangen, wie die Baudirektion auf Anfrage mitteilt. Im Kanton Bern liegt die Zahl gar unter einem Viertel, wie Urs Känzig, Leiter der Abteilung Naturförderung sagt. «Wir haben zwei Vollzeitstellen für den Unterhalt von 240 kantonalen Naturschutzgebieten. Und uns stehen pro Schutzgebiet und Jahr durchschnittlich weniger als 3000 Franken zur Verfügung. Ich denke es ist einfach nachvollziehbar, dass dies ungenügend ist.»

 

Bund und Kantone teilen sich die Kosten für den Moorschutz nach einem Schlüssel, er in den so genannten Programmvereinbarungen im Umweltbereich festgelegt ist. Hier sieht Annemarie Sandor, Leiterin der Abteilung Natur- und Landschaftsschutz beim Kanton Schwyz, das Problem. «Wir erhalten für den Unterhalt der Moore weniger als 40% Bundessubventionen. Dies steht im starken Gegensatz zu den vom Bund in Aussicht gestellten 65%»

 

Das wundert Nationalrätin Ursula Schneider Schüttel von der SP nicht. Sie sitzt in der Finanzkommission, die das Budget zuhanden des Nationalrates diskutiert und Anträge stellt. «Erstens gibt es einen bürgerlichen Grundtenor, dass der Bund sparen soll. Zweitens erfährt die Erhaltung der Landschaft und der Biotopschutz weniger Unterstützung als Themen wie Energieversorgung oder Landwirtschaft», sagt Schneider Schüttel.

 

Inzwischen geht die Überwachung des Zustandes der Moore weiter. Bergamini ist zurzeit an der Auswertung einer eben abgeschlossenen Erhebung. Er und seine Kollegen haben in den letzten sechs Jahren über 2000 Flächen auf die Vielfalt der Moose und Gefässpflanzen untersucht. «Die Resultate werden im kommenden Winter vorliegen. Aber es sieht so aus, als setzen sich die negativen Trends fort.»

 

 

 

Hintergrund zur Rothenthurm-Initiative

 

Das Eidgenössische Militärdepartement (EMD) plante in den 1970er Jahren in der Gemeinde Rothenthurm im Kanton Schwyz einen neuen Waffenplatz inklusive grosszügigem Übungsgelände. Dazu musste es das Land der Bauern aufkaufen. Es gab jedoch Dutzende von Landwirten, die sich von ihren Betrieben nicht vertreiben lassen wollten. In der Folge entbrannte ein jahrelanger Streit. Schliesslich drohte das EMD mit der Enteignung der Bauern.

 

Diese griffen daraufhin zum Mittel der Volksinitiative, um sich zu wehren. Da der Bau des Waffenplatzes ebenfalls ein grosses Hochmoor zerstört hätte, besannen sich die Bauern auf den Naturschutz. Beim Volk kam das gut an und es kamen in wenigen Wochen die Unterschriften für die eidgenössische Volksinitiative «zum Schutz der Moore» zustande.

 

Am 6. Dezember 1987 wurde sie zur allgemeinen Verwunderung mit 57,8 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Es war eine der grössten Niederlagen für das bis anhin unantastbare EMD und zugleich einer der grössten Siege für den Schweizer Naturschutz.

 

Seither steht in der Schweizer Bundesverfassung folgender Text: «Moore und Moorlandschaften von besonderer Schönheit und gesamtschweizerischer Bedeutung sind geschützt. Es dürfen darin weder Anlagen gebaut noch Bodenveränderungen vorgenommen werden.»

 

 

Erschienen in der NZZ am Sonntag

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