Das Thema Erektionsstörung wird langsam von seinem Status als Tabu befreit. Immer mehr Männer gehen zum Arzt, wenn Beschwerden auftreten. Das ist gut so. Denn schlaffer Penis kann ein Anzeichen einer drohenden Herzkreislauferkrankung sein.
Die Erektionsstörung ist eine Krankheit, über die Männer nicht gerne sprechen. Sie ist schambehaftet, weil sie diesen Urwert der Männlichkeit – die Standhaftigkeit – in Frage stellt. Doch nun zeigen neue Daten, dass es sich doppelt lohnt, sein Schamgefühl zu überwinden und bei auftretenden Erektionsstörungen sofort zum Arzt zu gehen. Denn in vielen Fällen ist sie ein Indiz für weitere schwerwiegendere Erkrankungen des Herzkreislaufsystems. Das heisst, wer seinen erschlafften Penis behandeln lässt, rettet nicht nur sein Selbstwertgefühl, sondern unter Umständen auch sein Leben.
Dies belegt eine Studie des Gefässspezialisten Nicolas Diehm vom Zentrum für Gefässmedizin in Aarau. Seit mehreren Jahren behandelt er zusammen mit dem Urologen Martin Schumacher Patienten mit einer Erektionsstörung. «Bei einer Erektion muss mehr Blut durch die Arterien in den Penis als wieder durch die Vene hinausfliesst. Dann wird er hart.» Wenn jedoch die zuführenden Arterien durch Ablagerungen verengt sind, bekommt der Penis nicht genug Blut für eine volle und andauernde Erektion. In der Folge bleibt er nur halb erigiert oder er erschlafft während des Sex frühzeitig. Bei 40 Prozent aller Patienten liegt eine Arterien-Verengung zu Grunde.
Um den Blutfluss wiederherzustellen, setzt Diehm an der verengten Stelle einen so genannten Stent ein. Das ist ein röhrenförmiges Metallgeflecht, das die verengten Wände der Arterie von innen nach aussen drückt und sie offen hält. Dadurch kann das Blut wieder ungehindert fliessen. Dieses Verfahren wird schon lange bei verstopften Herzkranzgefässen oder Beinarterien angewendet. Der Einsatz von Stents bei Erektionsstörungen ist hingegen neu und wird weltweit erst von einer Handvoll Ärzten praktiziert.
Ein schlaffer Penis kann kann ein Vorbote auf einen baldigen Herzinfarkt sein.
Die Daten von Diehm zeigen, dass ein schlaffer Penis auf lebensgefährliche Kreislaufkrankheiten hinweisen kann. Bei 20 Prozent seiner Patienten hat er eine solche gefunden. Dazu zählen Verengung der Herzkranzgefässe oder Aneurysmen. Das sind Erweiterungen der Hauptschlagader. «Zwei Patienten hatten noch in der relativen kurzen Abklärungszeit einen Herzinfarkt», sagt Diehm.
Damit ist die Erektionsstörung eine so genannte Sentinel-Krankheit. Das heisst, sie weist auf das Vorhandensein von weiteren Gebrechen hin. «Wir hatten kürzlich einen 43-jährigen Bänker. Bei so jungen Menschen denkt man zunächst nicht, dass etwas Körperliches hinter der Erektionsstörung stecken könnte. Aber nach den Tests war klar, dass etwas nicht stimmte. Schliesslich fanden wir heraus, dass er unter einer vererbten Stoffwechselkrankheit litt, die zu erhöhten Fettwerten im Blut führt und so auch zu einer bislang unbemerkten Verengung der Herzkranzgefässe. Weil er sich wegen seiner Erektionsstörung in Behandlung begab, konnten wir einem Herzinfarkt zuvorkommen und möglicherweise sein Leben retten», sagt Diehm.
Männer zögern indes mit ihrem Leiden zum Arzt zu gehen, weil sie befürchten, es könnte dabei etwas Schlimmes mit ihrem besten Stück passieren. «Viele denken, wir schneiden da am Penis rum», sagt Diehm. «Aber das stimmt gar nicht.» Der erste Schritt zur Behandlung ist ein Fragebogen. Er besteht aus 15 sehr persönlichen Fragen zum Sexualleben. Zwei der wichtigsten davon sind Nummer 3 und 4: «Wenn Sie im letzten Monat versuchten, Geschlechtsverkehr auszuüben, wie oft gelang es Ihnen, Ihren Partner zu penetrieren?» und «... wie oft gelang es Ihnen, Ihre Erektion aufrechtzuerhalten, nachdem Sie Ihren Partner penetriert hatten?» Die Patienten geben ihre Antwort per Kreuzchen. Sie reicht von «fast nie oder nie» zu «fast immer oder immer». Letzteres gibt fünf Punkte, ersteres nur einen Punkt. Die Bewertung mit Punkten ist wichtig, denn dadurch lässt sich nach dem Setzen des Stents auch der Erfolg der Behandlung bemessen.
Technologie, die seit Jahrzehnten am Herzen eingesetzt wird, hilft nun auch bei Erektionsstörungen.
Als nächstes wird getestet, ob die Durchblutung des Penis funktioniert. Dazu spritzt Diehm mit einer feinen Nadel ein durchblutungssteigerndes Mittel in den Schwellkörper. «Das wirkt ähnlich wie Viagra. Bei Menschen mit gesunden Arterien führt das sofort zu einer guten Erektion», sagt Diehm. Bleibt der Penis hingegen schlaff, deutet das auf einen Gefässverschluss hin. Mittels Ultraschall und Computertomographie wird anschliessend dessen genauer Ort festgestellt.
So vorbereitet folgt nun ein minimal-invasive Eingriff, der an der Hirslanden Klinik in Aarau durchgeführt wird. In der Leistenarterie führt Diehm einen Katheter ein und lenkt diesen bis zum Ort des Verschlusses. In der Regel ist das kurz vor dem Penis. «Dort haben die Gefässe nur noch wenige Millimeter im Durchmesser», sagt Diehm.
Jetzt wird der Stent auf den Katheter aufgefädelt und zur verengten Arterie geschoben. Dann wird ein winziger Ballon im Innern des Stents aufgeblasen. Dadurch geht das Drahtgeflecht auf und bleibt fortan unverrückbar an Ort und Stelle. Ballon raus, Katheter raus und fertig ist die Operation.
Zwischen 2016 und 2018 hat Diehm an der Hirslanden Klinik in Aarau 105 Patienten behandelt. Bei 76 Prozent der Patientin ist nach dem Eingriff eine deutliche Verbesserung der Erektion zu verzeichnen. «Bei den Fragen zwei und drei haben die Patienten durchschnittlich zwei Punkte gutgemacht. Das ist vergleichbar mit der Wirkung von Viagra bei Patienten, die keine Gefässverengung haben», sagt Diehm.
Bei den 24 Prozent der Patienten, die nicht auf die Behandlung ansprechen, lag ein weiteres Problem vor. «Durch Diabetes oder eine Prostata-Operation beispielsweise können die Nerven im Penis beschädigt sein. Wenn diese kaputt sind, ist ein Gefässeingriff keine Garantie für eine Verbesserung der Erektion», sagt Diehm.
Erschienen in der NZZ am Sonntag.