Invasion vom Mars

Der neue Space Race: Weltraumnationen versuchen als erstes Gesteins- und Erdproben vom Mars zur Erde zu bringen. Doch damit könnten sie auch marsianische Mikroben einschleppen. Wie gross ist die Gefahr wirklich? 

Das Bild zeigt den Marsrover Perseverance und Gesteinsproben in Röhrchen, die vor ihm liegen.
Der Mars-Rover Perseverance hat Gesteinsproben in luftdichte Röhrchen verpackt. Sie warten darauf, dass sie in einer Rückholmission eingesammelt und zur Erde geflogen werden. Illustration: Adobe Stock

Der Tod kommt aus dem All. Jedenfalls im Science-Fiction Film «Andromeda – Tödlicher Staub aus dem All» aus dem Jahr 1971, in dem eine Raumsonde vom Himmel stürzt und in einem Dorf New Mexicos zu Boden geht. Als die Bewohner die Sonde öffnen, werden sie von einer ausserirdischen Mikrobe befallen, die das Blut gerinnen lässt und die Menschen innert Sekunden tötet. Bis vor wenigen Jahren war dieses Szenario reine Fantasie. Doch nun dient es als wissenschaftliche Arbeitshypothese.

 

Zurzeit sammelt der Mars-Rover Perseverance Gesteinsproben auf unserem roten Nachbarn. Diese sollen in einer geplanten Folgemission von Nasa und ESA bis zum Jahr 2033 zurück zur Erde gebracht werden. Da sich nicht hundertprozentig ausschliessen lässt, dass es auf dem Mars lebenden Mikroben gibt, müssen sich Forschende nun mit der Frage beschäftigen: Wie schützen wir die Erde vor potenziell gefährlichen ausserirdischen Keimen?

 

Das einfachste und zugleich vorsichtigste Vorgehen wäre es, die Marsproben gar nicht erst auf die Erde zu bringen. Doch diese Option scheidet seit langem aus. «Der wissenschaftliche Wert von zurückgebrachten Proben, insbesondere vom Mars, ist immens», sagt der Physiker Henner Busemann von der ETH Zürich. Er wirkte bei der Planung des Rückführungsprozesses als Berater mit. «Die Proben können viele Fragen aus allen wissenschaftlichen Bereichen beantworten. Darunter etwa die geologische Geschichte, die Verteilung von Eis und flüssigem Wasser oder der Ursprung der Atmosphäre.»

 

Wohlgemerkt, die Chancen für aktives Leben in den gegenwärtigen Proben ist sehr gering. «Die Oberfläche des Mars ist lebensfeindlich», sagt Dirk Schulze-Makuch, Astrobiologe an der Technische Universität Berlin und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Astrobiologischen Gesellschaft. «Es ist sehr trocken, es gibt nur eine dünne Atmosphäre und zudem ist die Weltraumstrahlung extrem hoch. Da hat Leben wie wir es kennen praktisch keine Chance.» Die Nasa sieht das genauso. «Wir denken, dass die Umweltbedingungen auf der Marsoberfläche kein Leben ermöglichen», sagt Dewayne Washington, Sprecher der Rückführungs-Mission.

 


«Vorstellbar ist, dass Mars-Mikroben auf der Erde giftige Stoffe freisetzen.»


Das Problem sei die Unsicherheit, sagt Schulze-Makuch «Wir wissen einfach nicht, ob wir mit unseren Annahmen richtig liegen. In Lavahöhlen könnte es sehr wohl Mars-Mikroben geben. Dort sind sie vor der Strahlung geschützt und es kommt da vielleicht auch Wasser in Form von Eis vor. Wenn die Mikroben mit dem Wind verteilt werden, könnten sie dennoch in einer der Proben auftreten.»

 

Dazu komme, dass Bakterien Sporen bilden können, die Jahrmillionen überdauern. Auch sie könnten in den Proben vorhanden sein, zumal der Rover in einem ausgetrockneten See unterwegs ist. Dass es sich dabei aber, wie im Science-Fiction-Film dargestellt, um einen todbringenden Keim handelt, ist unwahrscheinlich. «Dazu fehlt ihnen die Ko-Evolution mit uns Menschen», sagt Schulze-Makuch. «Vorstellbar ist aber, dass sie giftige Stoffe freisetzen.»

 

In der öffentlichen Meinung werden indes kritische Töne zur Mission angeschlagen. Die Nasa ist daran, eine Umweltverträglichkeitserklärung zu erstellen. Letzten Herbst hat sie deren Entwurf veröffentlicht. Teil davon war auch die Konsultation mit der Öffentlichkeit. Personen aus der ganzen Welt konnten während dreissig Tagen ihren Kommentar zur Mission abgeben. 246 Stellungnahmen sind eingegangen. Über die Hälfte kritisierten die Rückführung des Gesteins. Da heisst es unter anderem: «Die direkte Rücksendung von nicht analysierten Proben vom Mars zur Erde ist unverantwortlich.» Oder auch: «Wir könnten es mit der ultimativen invasiven Art zu tun haben.»

Das Bild zeigt die Landschaft des Mars.
Die Gesteins- und Felsstrukturen auf dem Mars sehen ähnlich aus wie auf der Erde. Könnte es ihm Gestein lebende Mikroben geben? Nur eine Untersuchung auf der Erde kann diese Frage klären. Bild: NASA/JPL-Caltech/ASU/MSSS

Die Besorgnis zieht sich durch alle Bevölkerungsschichten, angefangen bei Science-Fiction-Nerds bis zu Physikern und Ingenieuren. Einer der letzteren ist Thomas Dehel, ehemaliger Elektro-Ingenieur bei der amerikanischen Flugsicherheitsbehörde. Auf Anfrage erklärt er: «Dass die Wahrscheinlichkeit für mikrobielles Leben auf dem Mars gering ist, ist keine Garantie für die Sicherheit des einen und einzigen Planeten, den die Menschheit hat. Es ist lächerlich, dass die Nasa dieses Risiko eingeht, bevor man bewiesen hat, dass der Mars entweder steril ist oder dass das Leben auf ihm harmlos ist.»

 

Auch Schulze-Makuch ortet hier ein Versäumnis seitens der Nasa: «Man hätte die offenen Fragen mit einer Sonde zuvor klären können. Mit den heutigen Methoden liesse sich bestimmen, ob es mikrobielles Leben auf der Marsoberfläche gibt. Dann wüssten wir, woran wir sind, und die Gefahr für die Erde wäre noch wesentlich geringer.»

 

Das Nasa hat das nicht gemacht, weil sie sich an der Suche nach aktivem Leben auf dem Mars schon einmal die Finger verbrannt hat. «Das letzte Mal war in den 1970er-Jahren mit den Viking-Missionen. Die Resultate waren jedoch widersprüchlich. In der öffentlichen Wahrnehmung galt die Mission darum als Flop. Das führte dazu, dass die Erforschung des Mars für Jahrzehnte zurückgeworfen wurde. Einen ähnlichen Rückschlag will die Nasa vermeiden, denn dann wären womöglich die Forschungsgelder erneut gefährdet», sagt Schulze-Makuch.

 

Darum sucht der Mars-Rover auch explizit nur nach Hinweisen von vergangenem Leben; also von versteinerten Bakterien oder deren Ablagerungen. Das weckt weit weniger grosse Erwartungen. Zudem wird die Frage nach Leben in ein breites Spektrum weiterer Forschungsfragen gepackt. Gibt es in einem Feld widersprüchliche Resultate, sind sie in einem anderen dafür umso klarer. So ist die Gefahr eines Flops viel kleiner. 

 

Nichtsdestotrotz muss die NASA bei der Rückführung des Gesteins die höchstmögliche Vorsicht walten lassen. Das verlangt internationales Gesetz, sagt die Anwältin Cynthia Harris. Sie arbeitet für das «Environmental Law Institute», einer US-amerikanischen Denkfabrik, die sich unter anderem mit rechtlichen Lösungen für Umweltverschmutzung beschäftigt. Harris hat kürzlich einen Fachartikel zu den rechtlichen Grundlagen des Schutzes der Erde vor ausserirdischen Mikroben veröffentlicht. «Grundsätzlich gilt der Weltraumvertrag von 1967. Er besagt, dass eine ungünstige Veränderung der Erde durch das Einbringen ausserirdischer Stoffe zu vermeiden ist», sagt sie.

Der Weltraumvertrag basiert auf dem Vorsorgeprinzip. «Das heisst, man führt die Aktion nicht fort, wenn die Gefahr einer Schädigung der menschlichen Gesundheit oder der Umwelt nicht auszuschliessen ist», sagt Harris. Dieses Prinzip wurde jahrzehntelang eisern eingehalten, vor allem weil wir technologisch gar nicht die Möglichkeit hatten, Material von anderen Planeten zur Erde zu bringen. Heute, wo es wirklich darauf ankommen würde, stellt Harris eine Aufweichung fest. «Man verfährt neu gemäss einer Kosten-Nutzen-Analyse wie es im amerikanischen Umweltrecht üblich ist», sagt sie. Überwiegt der Nutzen die Risiken haushoch, so wie in diesem Fall, steht der Rückführung des Gesteins nichts im Weg; vorausgesetzt es werden Schutzmassnahmen ergriffen.

 

Dabei geht es vor allem darum, die Kontaktkette zwischen Mars und Erde zu unterbrechen. Dies stellen sich Nasa und ESA im Moment so vor: Eine Sonde wird 2028 zum Mars aufbrechen. Dort gelandet, nimmt sie die Gesteinsproben vom Rover entgegen. Die Proben werden in eine kleine Rakete geladen und in den Orbit geschossen. Dort wartet bereits eine zweite Sonde, welche die Proben aufnimmt und steril verpackt. So geht es zurück zur Erde. Die Sonde schickt die Proben schliesslich in einem Landemodul zur Erdoberfläche. Der Rest der Sonde, deren Aussenhülle direkten Kontakt mit den Proben hatte und potenziell mit Mars-Mikroben kontaminiert ist, wird für die nächsten hundert Jahre in einen Orbit um die Sonne geschickt. Sie geht sozusagen in eine sehr lange Quarantäne.

 

Auf der Erde kommen die Proben in ein Biosicherheitslabor der Stufe 4 – die höchste, die es gibt. Dort muss geklärt werden, ob es Mars-Mikroben auf ihnen gibt. Erst danach können sie an weitere Labors und Forschergruppen verteilt werden.

 

Bei allen Überlegungen spielt die Zeit eine wichtige Rolle. Nasa und ESA stehen unter Zugzwang. Denn die chinesische Raumfahrtbehörde hat letztes Jahr angekündigt, bereits 2031 – also zwei Jahre früher als der Westen – ein halbes Kilo Gestein vom Mars zurück zur Erde zu bringen.

 

«Ich denke, die Nasa fühlt sich unter Druck gesetzt. China wird zwar oft unterschätzt, doch die könnten das schaffen. Fragt sich nur, welche Standards die Chinesen beim Schutz der Erde anwenden», sagt Schulze-Makuch. 

 

 

Erschienen in der NZZ am Sonntag. 

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